4.45 Dem Höhepunkt der Stadtentwicklung entgegen 

 

Nachdem die Besitzverhältnisse in der Stahlindustrie geregelt waren, im Jahre 1922 die Wirtschaftsunion mit Belgien abgeschlossen war und die Nachkriegsrezession abgeflaut, erlebte Esch in der zweiten Hälfte der 20er Jahre ihren bisher größten Aufschwung.

Die Arbed fusionierte mit Terre Rouge und wurde durch die Ausdehnung in Brasilien (Belo Horizonte) und Argentinien zu einer multinationalen Gesellschaft. Die 4 Werke von Terre Rouge, Arbed-Esch, Belval und Oth waren mit Eisenbahnen, Gasleitungen und Elektrizität miteinander vernetzt worden. Es gab auch Absprachen mit den Hütten von Differdingen und Rodingen. Im Jahre 1927 war Luxemburg der 7. größte Stahlproduzent der Welt.

Die Bevölkerung, die im Weltkrieg stark rückläufig war, stieg wieder an. Die Zahlen des Biergeramts sind folgende:
1914: 23.964
1919: 20.557, also eine Verringerung von fast 3.500 Einwohner infolge des Kriegs und der Rückwanderung der Italiener.

1929: 30.121, wovon etwa 4000 Italiener.
1935: 27.217, wovon nur mehr 2457 Italiener. Aus diesen Zahlen geht deutlich hervor, dass die italienischen Arbeiter als Ventil des Arbeitsmarktes dienten, die heimgeschickt wurden, wenn Konjunkturflaute war. Ihr Kommen und Gehen beeinflusste die Gesamteinwohnerzahl entscheidend.

Insgesamt war die Zeit zwischen den Weltkriegen dennoch eine Aufschwungzeit für die Stadt Esch.

Der Aufschwung erlaubte auch größere Veränderungen im Stadtbild. Es wurde nun endlich die Notwendigkeit erkannt, einen urbanistischen Stadterweiterungsplan auf zu stellen. Bisher war einfach ein Strich auf der Karte gezogen worden und man vertraute einem Bauunternehmer den Bau einer ganzen Straße mit den Häusern an, der dann auch der Straße seinen Namen gab. Die Arbeit wurde dem deutschen Urbanisten Stübben anvertraut, der den Plan 1925 erstellte. Einiges vom Stübbenplan wurde verwirklicht, Manches nicht, Manches wird eben erst wieder aufgegriffen. Stübben hatte zum Beispiel erkannt, dass der Verlauf des kleinen Dippach zwischen dem heutigen Rond Point Raemerich und dem Cactuseinkaufzentrum in der Luxemburgerstraße die willkommene Gelegenheit bot, ein grünes Band im Norden der Stadt in West-Ost-Richtung zu ziehen und die neue Urbanisierung nördlich an dieses Band anzuschließen. Als negatives Beispiel kurzsichtiger urbanistischer Entscheidungen, die integrierte Stadtentwicklungspläne wie den Stübbenplan außer acht lassen, steht die Opferung des Schlasspark in den 60ger Jahren, der noch 50 Jahre danach eine hässliche Narbe von Hinterhäusern und Lagerhallen in der Einfahrt zum Stadtzentrum hinterlässt.

1925 wurde das Schwimmbad ERA eröffnet, das auf französischem Boden liegt und dessen Namen die Initialen der drei Gemeinden Esch, Russange

und Audun darstellen. Die ERA ging 1990 sang- und klanglos unter. 1927 wurde der Lavalpark eröffnet, den die Stadtverwaltung zwei Jahre zuvor von den Erben des gleichnamigen Notars erworben hatte.

Am 29. Mai 1927 fuhr die erste Trambahn des TICE (Tramways Interkommunaux du Canton d’Esch) zwischen Esch und Differdingen. Im selben Jahr noch fuhren die Linien nach Rodange, nach Kayl-Düdelingen und die „wild-Westernlinie“ nach Rümelingen. Das Netz umfasste auf seinem Höhepunkt 11 Linien. Die Trambahn wurde dann nach dem 2.Weltkrieg nach und nach abgebaut, bis sie 1956 ganz verschwand. Dabei wurden nur kurzfristige finanzielle Erwägungen angeführt, von einer Projektion für die Nützlichkeit einer Trambahn in der Zukunft wurde abgesehen. Heute ist die Neuschaffung einer Personenbahn für die Einwohner der Südregion wieder im Gespräch.

Die 20er Jahre waren in mancher Hinsicht vorbildlich, was die längerfristige Stadtplanung anbelangt. Zwischen 1925 und 1928 erbaute die Stadt Esch 100 Sozialwohnungen. Im selben Zeitraum wurde auch das große städtische Escher Spital erbaut mitsamt einem neuen Stadtviertel rundherum. Im Jahre 1930 entstand der neue Parkfriedhof von Lallingen, der auf dem Stübbenplan vorgesehen war, sowie die Bruchschule.

1930 zählte Esch 29.429 Einwohner und 7.511 Haushalte, eine Zahl, die erst 2007 wieder erreicht wurde. Den tiefsten Stand nach 1930 erreichte die Stadt Mitte der 80er Jahre, in der Stahlkrise, als die Einwohnerzahl unter 25.000 fiel. Wie erklärt es sich, dass die Einwohnerzahl zurückgegangen war, wo doch nach dem 2. Weltkrieg neue Viertel entstanden waren? Nun, 1930 bestand ein Haushalt aus annähernd 4 Personen, seit den 80er Jahren nur noch aus 2,2 Personen. Die Escher beanspruchen mehr Wohnfläche. 

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