4.44 Der große Streik von März 1921

 

Der Escher Historiker Denis Scuto hatte 1990 bei Editpress ein Werk unter dem Titel „sous le signe de la grande grève de mars 1921“ herausgegeben. Die folgenden Ausführungen stützen sich weitgehend auf dieses Werk.

 

Nach der deutschen Niederlage wurden die Betriebe, die in deutscher Hand waren, an französische und belgische Finanzgruppen verkauft.

 

Der Streik sollte wohl der bedeutendste in der luxemburgischen Geschichte werden. Er dauerte bis zum 17. März.

 

In den ersten Monaten von 1921 verschärfte sich die Überproduktionskrise im Stahlbereich. Es kommen keine Aufträge, die Preise fallen unter die Produktionskosten. Die Hadir in Differdingen entließ am 15. Februar 150 Arbeiter, danach noch 250, 3.100 machten Kurzarbeit. Die Steinforter Hütte entliess 140 Arbeiter. Am 17. Februar entliess die Ougrée-Marihange von Rodange 50 Arbeiter, kurz darauf weitere 350. Nur 2 von 5 Hochöfen waren noch in Betrieb. Die Betriebe von Arbed und Terre Rouge waren weniger betroffen, weil sie eine geschicktere Verkaufsstrategie hatten.

 

Die Gewerkschaften hatten sich ab 1916 mit Riesenschritten ausgebreitet. Der Luxemburger Berg- und Metallindustriearbeiterverband LBMIV, aus dem sich viel später der LAV und dann der OGB-L entwickelte zählte 1920, 18.000 Mitglieder, wo es vor dem Krieg nur einige Hundert organisierte Arbeiter gab. Die Schaffung der Arbeiterausschüsse gab ihnen die geeigneten Mittel in den Betrieben engen Kontakt mit den Belegschaften zu haben. Für die Gewerkschaften stellte sich die schwierige Frage einen Arbeitskampf im Kontext der Rezession durchzuführen, was nicht einfach war, weil ein Streik kein großes Druckmittel in einer Situation ist, wo es wenig Aufträge gibt.

 

Das Forderungsprogramm des BMIAV ging weiter als die einfache Verteidigung der Belegschaften: „1. Strikte Einführung der 48-Stundenwoche und eventuell Verkürzung der Arbeitszeit; 2. Abschaffung des Accordsystems; 3. Verbot der Arbeiterentlassungen oder Lohnreduzierungen, bis der Arbeiterschaft durch die Gewährung der uneingeschränkten Betriebskontrolle die Notwendigkeit derselben erwiesen ist; 4. Weiterführung der Betriebe durch den Staat, falls die Betriebskontrolle erweist, dass der Betrieb ohne Entlassungen, resp. Lohnreduzierungen noch rentabel ist und die Arbeitgeber die Weiterführung verweigern; 5. Verschaffen von Arbeitsgelegenheiten ohne jedweden Lohn- oder Schichtausfall durch den Staat, falls Entlassungen notgedrungen sind.“ Hier wird also deutlich eine Kontrolle der Belegschaften über die Betriebe angestrebt.

 

Diese gewerkschaftliche Strategie war wohl von internationalen Beispielen inspiriert. Besonders aktuell waren die Betriebsbesetzungen in Norditalien. Die neu gegründeten luxemburgischen und italienischen kommunistischen Vereinigungen wollten die gewerkschaftlichen Kämpfe mit Kämpfen für die politische Macht verbinden. Sie drängen auf die Besetzung der Betriebe. Die Versammlungen der kommunistischen Partei finden am 18. Februar in Differdingen mit 1000 Teilnehmern, in Esch am 25. Februar, Rümelingen am 27., Rodange am 28. Der Gewerkschaftsführer Pierre Krier versucht zu bremsen: „Der gewerkschaftlich geschulte Kamerad (…) hat zwar auch gelesen, dass mit Trompetenstößen einstmals die biblischen Mauern von Jericho umgeblasen worden sein wollen. Er glaubt aber nicht, dass die Mauern der kapitalistischen Wirtschaftsverfassung mit solchen Posaunen zu bezwingen sind…. .“ 

 

Am 27. Februar 1921 verfasste der zentrale Arbeiterrat der Gewerkschaften die Regeln nach denen der große Streik verlaufen sollte: „so sollen die Hüttenarbeiter in die passive Resistenz treten, indem sie alle auf ihre Arbeitsstelle gehen ohne zu arbeiten mit Ausnahme der Hochofenarbeiter, welche ihre Arbeit weiterhin versehen sollen.“ Falls Arbeiter entlassen würden „so haben alle Kameraden der Belegschaft die Pflicht, sich mit den Kameraden zu solidarisieren und den Betrieb zu besetzen. Eine Patrouille von 20 Mann wird bei jedes Portal gestellt. Diese Patrouille ist verpflichtet, sich geistig dem Eintritt vom Militär und des Arbeitgebers entgegenzustellen und zu widersetzen.“

 

In einer ersten Phase reagierte die Regierung, unter dem Vorsitz des Staatsministers der Rechtspartei, Emile Reuter, nicht öffentlich. Am 24. Februar hatte es aber eine Unterredung des Direktors der Hadir, Maugas, mit Reuter gegeben in der dieser versprochen hatte, im Falle einer Betriebsbesetzung sofort die Armee einzusetzen, um die Hütte zu räumen. Andere Regierungsstellen waren der Meinung, dass eine friedliche Besetzung eigentlich nicht rechtswidrig sei.

 

Am 1. März um 6 Uhr begaben sich alle Arbeiter der Hadir, auch die entlassenen, in den Betrieb. Die Arbeit wurde verweigert. Nachdem die Direktion die Forderungen abgewiesen hatte, konstituierte sich der Ausschuss als Arbeiterrat und übernahm den Betrieb. Um 13 Uhr nahmen 140 französische und luxemburgische Soldaten mit 13 Lastwagen den Betrieb ein und stellten 13 Maschinengewehre auf. Daraufhin verliessen die Arbeiter geschlossen den Betrieb und trafen sich daraufhin regelmäßig in Versammlungen.

 

In Rodingen war es ähnlich zugegangen. 110 französische und luxemburgische Soldaten hatten den Betrieb eingenommen. In Steinfort war es die Gendarmerie, die einschritt.

 

Was geschah in Esch, wo es keine Entlassungen gegeben hatte? Ab dem 3. März begann die passive Resistenz auf Terre Rouge, das heißt die Arbeiter begaben sich den Betrieb arbeiteten aber nicht als Solidarität mit denen von Differdingen, Rodingen und Steinfort. Der Direktor Chomé hielt ihnen vor, es gäbe keinen Grund in Esch zu streiken. Der Arbeiterrat forderte, dass die Direktion Einfluss auf die Direktionen der anderen Hütten nehmen solle um dort die Arbeiterforderungen zu erfüllen. Die Belegschaft reagierte nicht mehr auf die Anordnungen der Direktion und der Meister. Der Arbeiterrat beherrschte den Betrieb. Insbesondere wurde darauf geachtet, dass die Hochöfen unter Feuer bleiben. Am 4. März schien es zu einer Einigung mit der Direktion zu kommen, ohne dass die Belegschaft etwas erreicht hätte, außer dem Versprechen, dass es keine Maßregelungen geben würde. Doch schritten nun die Bergarbeiter ein. Die Bergwerke waren seit Beginn des Streiks geschlossen und nun forcierten  die Bergarbeiter die Eingänge und begannen mit der Produktion in eigener Regie. Während der ganzen Bewegung wurden keine Sabotageakte und auch keine Gewalt bekannt, wenn man von dem bewaffneten Einsatz des Militärs einmal absieht. In manchen gewerkschaftlichen Berichten geht die Rede davon, dass die Militärs in 20 Fällen Streikposten und private Personen misshandelt hatten, außerdem seien die Soldaten oft besoffen gewesen.

 

Wichtig war auch die Rolle der Frauen, die sich zusehends aktiver beteiligten und die Männer dazu antrieben, an den gewerkschaftlichen Aktionen teil zu nehmen.

 

Ab dem 5. März ließen die Direktionen aller Werke, auch von Arbed Esch-Schifflingen und Düdelingen die Werke schließen und die Arbeiter ausschließen. Es war der lock-out in der gesamten Minen- und Eisenindustrie der Minettegegend. Die Arbeiter versammelten sich nun täglich auf dem Galgenberg in Versammlungen von bis zu 5000 Mann. Nun wurde der Druck der Financiers der verschiedenen Gesellschaften auf die Regierung immer stärker. Sie forderten den Verbot der Ausschüsse. Der französische Botschafter Mollard machte sich auch für diese repressive Maßnahme stark, während Hüttenherr Pescatore für Notstandsarbeiten eintrat. Am 11. März gab die Regierung Reuter dem Druck nach: ein Ministerialreglement verbot die Ausschüsse. Am 16. März kam es zur Abstimmung in der Deputiertenkammer. Die Sozialisten hatten aus Protest die Kammer verlassen. Das Dekret wurde mit 23 Stimmen gegen 2 und 5 Enthaltungen gutgeheißen.

 

Der Märzstreik von 1921 endete am 17. mit der Wiederaufnahme der Arbeit. Es war gewiss eine Niederlage. Zu den wirtschaftlichen Entlassungen kamen die politischen Entlassungen der Streikführer hinzu. Die Demoralisierung zeigt sich an den schwach besuchten 1.Mai-Kundgebungen (nut etwas mehr als 1000 Teilnehmer in Esch) und an den schwindenden Mitgliederzahlen der Gewerkschaften.

 

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