2.19 Wir wollen Belgier sein !

 

Zum Ende der 1820er Jahre kristallisierte sich die Unzufriedenheit in Belgien mit dem zusehends autoritäreren Regime Wilhelms I. in einer Flut von Petitionen an die Generalstände in den Haag. Sie betrafen die Verantwortlichkeit der Minister, die Unabsetzbarkeit der Richter, den freien Gebrauch der Sprachen, die Abschaffung der Steuern auf dem Mehlbetrieb und der Schlachterei…In Luxemburg gab es keine allgemeine politische Debatte, nur große Unzufriedenheit über die Verarmung in der Region. Es muss daran erinnert werden, dass das Großherzogtum noch aus dem heutigen Territorum und der heute belgischen Provinz Luxembourg bestand. Ob es in Esch Verarmung gab, ist anzuzweifeln. Doch wüteten die verhassten Steuerbeamte des orangistischen Regimes. Der Voltairianer Schrobildgen aus Luxembourg äusserte sich darüber folgendermassen: „On s’y occupe beaucoup et partout, dans tous les sens, d’améliorations intérieures; on y veut de l’administration positive, voilà pourquoi les intérêts de la prospérité provinciale absorbent nos idées, au point de nous persuader qu’un état des choses lentement progressif finira par amener à la suite toutes les libertés et toutes les garanties, à mesure qu’elles seront compatibles avec la maturité toujours croissante des esprits. »

 

Unseren Vorfahren lag vor allem die erdrückende Steuerlast ganz oben. Die weitsichtigen belgischen Debatten hatten vorerst nur wenig Einfluss, doch sollte das sich schnell ändern. Luxemburg reichte damals bis nach Marche-en Famenne und im französischen Teil des Großherzogtums gab es eine direktere Verbindung zu dem,was sich in den belgischen größeren Städten regte. Im November 1829 begann die kleine Ardennerortschaft Laroche mit einer Petition.

 

Am 26. August 1830 kam es zum Aufstand in den Strassen von Brüssel. Am 26. September wurde eine provisorische belgische Regierung gebildet. Eine Woche später wurde die Unabhängigkeit Belgiens ausgerufen. Indirekten Einfluss muss die französische Situation gehabt haben mit der Julirevolution. Im August 1830 trat der Bourbone Charles X zurück; der so genannte Bürgerkönig Louis Philippe kam auf den Thron. Es war ein revolutionäres Jahr in Europa. Die Polen, die zum Zarenreich gehörten, rebellierten gegen das Zarenregime.

 

Am 2. Oktober wurde in Diekirch die belgische Fahne gehisst. Am 3. Oktober wehte sie in Esch. Das Zoll- und Akzisenbüro wurde gestürmt und die dort gelagerten, beschlagnahmten Wein- und Branntweinfässer ausgeräumt. Am 18. erklärte Walferdingen, eine Ortschaft, die noch zum engeren Ring der Festung zählte, seine Zugehörigkeit zu Belgien. Die neue belgische Regierung proklamierte, dass das Großherzogtum Luxemburg integraler Bestandteil des neuen belgischen Staates sei.

 

Die Situation des Landes war skurril. Nach Internationalem Recht (dem Recht des Wiener Kongresses) war es ein unabhängiges Großherzogtum mit dem niederländischen König als Großherzog. Nach der Vorstellung Wilhelms war es nur eine holländische Provinz. Er setzte den Herzog von Sachsen-Weimar als Gouverneur ein. Dieser gab die Verantwortung an den Kommandanten von Goedecke weiter. Der Einfluss der holländischen Verwaltung beschränkte sich aber auf die Hauptstadt Luxemburg. Ebenso skurril war die Haltung der luxemburgischen Bevölkerung. Sie begeisterte sich offensichtlich für den Anschluss an Belgien, wenn gleich es nicht klar ist, ob nicht eher ein Anschluss an Frankreich gemeint war. Es durfte nur nicht Holland und vor allem nicht Preußen sein. Man muss wissen, dass in den Pariser Salons das neue Belgien nur als eine Übergangslösung bis zur Eingliederung an Frankreich angesehen wurde. Der orangistische, wichtigste politische Vertreter Wilhelms in Luxemburg, Wilmar, äußerte sich an einem Schreiben vom 31. Dezember 1831 an das Innenministerium im Haag folgendermassen: „ Le projet de la réunion à la France est de tous celui qui éprouve le moins de répugnance de la part des habitants de cette province. Il est à craindre qu’il ne soit chaudement soutenu par le commerce des fers, du cuir, des draps et du bétail. » Die Industrie und der Handel äugten nach dem einzigen Land, das in seiner Grenzregion zu Luxemburg wirtschaftlich entwickelt war. Der Einfluss der Julirevolution in Frankreich und der belgischen Revolution tat seines zur Haltung der Luxemburger dazu.

 

In London trafen sich die Großmächte und anerkannten im „traité des 18 articles“ das neue Belgien. Die luxemburgische Frage wurde ausgeklammert. Wilhelm drohte mit Krieg. Hätte es Krieg gegeben, dann wäre Frankreich wohl Belgien zur Hilfe geeilt. Die englische Haltung war zweideutig: England hatte die heilige Allianz seit dem Wiener Kongress verlassen und verwehrte Wilhelm die Unterstützung. Dabei war es 15 Jahre zuvor noch sehr für einen starken holländischen Pufferstaat. Es gab auch inzwischen eine koloniale Konkurrenz zwischen England und Holland. Die Gefahr einer militärischen Intervention von deutscher Seite war real, doch konnte auf Seiten der deutschen Verbündeten offensichtlich keine gemeinsame Haltung eingenommen werden. Um den Krieg zu vermeiden, kam es zu einem zweiten Treffen in London mit einem neuen „traité des 24 articles“, in dem Limburg und Luxemburg unter Holland und Belgien aufgeteilt werden sollten. Es blieb dabei, dass Luxemburg de facto belgisch blieb und die Festung fest in preußischer Hand.

 

In Esch war nach dem Zusammenbruch des Empire ein orangistischer Bürgermeister an der Spitze des Gemeinde, Johann Haas. Haas hatte alles daran gesetzt, dem Regime zu gefallen. Im Jahre 1823 hatte er eine, für die kleine Ortschaft, überdimensionale Feier für den Königsgeburtstag aufgezogen, die uns in einem Bericht des Gemeindesekretärs Alexis Brasseur überliefert war. Es hatte ein großartiges Feuerwerk zu Ehren des Monarchen gegeben, das mit der lateinischen Chronogramm „WILheLMo regI aC pLebI saLVs aD arVa“ *) seinen Höhepunkt. Sein Nachfolger war 1828 der ebenfalls orangistische Notar Henri Motté geworden. Er war seinem Schwager J.-Pierre Nothomb als Notar gefolgt. Immerhin hatte er sich beim Distriktskommissar über den Übereifer der Steuereintreiber beklagt, was ihm einen Verweis einbrachte. Motté musste sich entschuldigen. Als dann das Akzisenbüro geplündert wurde, nahm er seinen Hut. Motté war die einzige Escher Figur, die später eine Rolle in der nationalen Politik spielen wird.

 

*) „Dem König und dem Volk Heil bei der Ernte.“ Die großgeschriebenen Buchstaben sind lateinische Ziffern.

 

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