4.40 - 1906 - Jahr der zweiten Erhebung zur Stadt

 – eine kleine „Stärken – Schwächenanalyse“

 

Die 2. Erhebung von Esch zur Stadt im Jahre 1906 entsprach auch einem wirklichen wirtschaftlichen, urbanistischen und politischen Wandel. Das Niveau der öffentlichen Einrichtungen entsprach dem allerdings nicht.

 

Die Ortschaft zählte mittlerweile 12.000 Einwohner und war die zweitgrösste des Landes. Längst hatte sie die kleinen Städtchen überflügelt, die ihre Stadtrechte aus dem Mittelalter herüberretten konnten: Echternach, das lange das zweitgrösste Städtchen des Grossherzogtums war, Diekirch, das winzige Vianden, Grevenmacher, ... . Vor allem war Esch zum Wirtschaftszentrum des Landes emporgestiegen.

 

Eine chaotische Ausdehnung entlang den Ausfallsstrassen, wie sie dann in manchen Nachbargemeinden Eschs geschah, wäre für die Festigung ihres Statuts als Minettemetropole fatal gewesen. Die ganze Minettegegend wäre zu einem unübersichtlichen, durchgehend besiedelten Ostwestbandwurm geworden, ohne städtische Kultur, ohne anziehendes Zentrum. Die Generation von Gemeindepolitiker, die mit Bürgermeister Pierre Claude geendet hatte, war bäuerlichen Ursprungs und man konnte von ihnen kaum eine stadtplanerische Weitsicht erwarten. Sie hatten eine gewaltige Kirche gebaut, doch die alten und die neuen Escher wandelten bei Regen noch durch morastige Strassen.

 

Liest man die Zeitungsberichte über die chaotischen Gemeinderatssitzungen dieser Zeit nach, dann offenbart sich die schreiende politische Führungsschwäche in der Gemeinde, die auch mit Hoferlin nicht endete.

 

Mit D.J. Hoferlin kam ein Vertrauensmann des Hüttendirektors Metz an die Spitze der Gemeinde, wenngleich er selber aus dem stockescher bäuerlichen Milieu kam. Sein vom Hausnamen abgeleiterer Nachname war Janess(en). Es gab Infrastrukturarbeiten im Zusammenhang mit dem guten Funktionnieren der Hütten, vor allem im Eisenbahnbereich. Immerhin wurde damals der erste „Straßenalignementsplan“ von Wirtz-Krasnik ausgearbeitet. Ein regelrechter ubanistischer Gesamtplan scheint dieser nicht gewesen zu sein.  Hoferlin starb am Vortag der grossen Feierlichkeiten zur Stadterhebung im Amt. Ihm folgte Hüttenherr Leo Metz. Diese Amtsübernahme hatte etwas von Ironie der Lokalgeschichte. Die Berwarter Herren hatten es nie geschafft, die Stadt zu vereinnahmen. Nun hatte unter völlig verschiedenen gesellschaftlichen Verhältnissen der industrielle Schlossinhaber es geschafft. Das imposante Schloss war allerdings 1905 durch einen Brand stark beschädigt worden. In „der arme Teufel“ bemerkte „der rote Schneider“ allerdings: „...alle Welt wusste es, dass Herr Leo Metz beständig Bürgermeister von Esch gewesen, wenn auch auf indirektem Wege“. 

 

Metz hatte die Tendenz, das gesamte öffentliche Leben zu vereinnahmen. So war er der Boss der lokalen und der nationalen Feuerwehr, Präsident der lokalen Blasmusik und des Adolfverbandes. Es bestand die Gefahr, dass in der Zeit der demographischen Explosion, Stadtplanung vor allem als Hüttenplanung verstanden würde. Die neuen Kolonien orientierten sich nach der Nähe der Hütte. Während an der Ehleringer Strasse die Kolonien entstanden, gab es zwischen der rue Large und dieser Kolonie kaum eine Bebauung. Zwischen dem Stadtzentrum, der Brillstraße und der Burenstraße waren die Alzettestraße und seine Nebenstraßen noch nicht gezogen.

 

Von den drei Hütten im Süden, im Südwesten und im Norden eingeengt, hätte die Stadt bereits vor dem ersten Weltkrieg einen durchdachten Stadtentwicklungsplan gebraucht. Sie wird ihn erst 1924 mit dem Stübbenplan bekommen. Es bedurfte in den 20ger Jahren heftiger Auseinandersetzungen, um die Verlängerung der grossen Ausziehbrücke im Clair-Chène zu verhindern und so eine Erdrosselung der Stadtentwicklung zuverhindern. Vorerst wurden neue Strassen von Unternehmern angelegt, die ihr dann auch gleich ihren Namen gaben. So wie es die Metzeschmelz gab, gab es bald eine Lefèvrestraße (heute Brillstraße), eine Caffarostraße (heute C.M. Spoostraße), eine Biwer- und Biwerquerstraße (heute Hoferlin- und Louis Petitstraße), eine Kerschstraße (heute Dicksstraße)...als seien die neuen Escher Straßen Eigenbesitz der Bauunternehmer. Diese Straßennamen sollten aber ebenso wenig bestand haben, wie jene, die an die deutschen Hüttendirektoren erinnerten.

 

Es fehlte in Esch an weiterbildenden Schulen. 1894 bereits hatte eine Gruppe Escher Bürger den Bau eines Gymnasiums gefordert. Die Schüler konnten nur in Pensionate nach Luxemburg, Echternach oder Diekirch gehen. Die Regierung war eher der Meinung, es müsste eine Handwerkerschule sein. C.M. Spoo trat konsequent für eine wissenschaftliche und technische Sekundarschule ein. 1901 wurde dann durch Gesetz die Industrieschule von Esch geschaffen, doch gab es kein Gebäude für sie. So ging die Regierung damals mit der Escher Gemeinde um: die Industrieschule war eine staatliche Schule; die Escher Gemeinde musste das Gebäude stellen, das Mobilar und jährlich 5000 Franken zu den Betriebskosten beitragen. Die Industrieschule war in der Alzettestraße untergebracht in dem Gebäude, das auch das Friedensgericht und kommunale Dienste beherbergte. Im ersten Jahr hatte sie 118 männliche Schüler. Die neue Stadt errichte sodann den Neorenaissancebau des heutigen Lycée de Garçons nach den Plänen des streitbaren Stadtarchitekten Paul Flesch für 600.000 Franken. Der Staat fand sich schliesslich bereit, die Hälfte der Summe zu übernehmen.  Die Industrieschule, später Knabengymnasium ging erst viel später in staatlichen Besitz über.

 

Für die Mädchen gab es nach der Primärschule nur eine von Nonnen betriebene Haushaltungsschule. Wie schon bei der Industrieschule, kam der Anstoss zur Gründung eines Mädchengymnasiums aus Esch selber. 1910-11 begann es mit 2 Klassen. Das Gymnasium wurde wie schon bei der Industrieschule in städtischen Lokalen untergebracht, zuerst in der Alzettestraße, dann in der Schulstraße, im ersten Escher Primärschulgebäude. Der Staat wird zwar den Unterricht bereits 1911 anerkennen, ein eigenes Gebäude für die Mädchen aber erst in den fünfziger Jahren bauen.

 

1910 wurde im Gebäude der Industrieschule eine Bergbau-Vorschule und ein Jahr später eine Bergbauschule eröffnet.

 

Die Stadt Esch entwickelte sich im Eiltempo. Planung und Infrastrukturen folgten nur mühsam. Von staatlicher Seite kam keine Hilfe, höchstens Boykott. Diese Linie wurde mit Ausnahmen über Jahrzehnte beibehalten. Noch während der Stahlkrise, als die Stadtkasse klamm war, waren lebenswichtige staatliche Einrichtungen, wie die Justiz und das Arbeitsamt in gemeindeeigenen Lokalen zu Gast. Die Stadtverwaltung verkaufte das lokale Geschichtsmuseum! In den 80er Jahren erst kaufte der Staat der Stadt Esch das Terrain ab auf dem das „Lycée de Garçons“ stand, um einen völligen  Zusammenbruch der lokalen Finanzen zu verhindern. Diese finanzielle Diskriminierung von Esch durch den Zentralstaat gibt es spätestens seit der letzten Reform der kommunalen Finanzen nicht mehr.

© Copyright Frank Jost, Weitergabe gestattet nur mit Quellenangabe 

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