4.37 Die Geburt der Arbeiterbewegung

 

Heute wird Esch allgemein als die Wiege der luxemburgischen Arbeiterbewegung angesehen. Es stimmt auch, dass die breite gewerkschaftliche Organisation im Landessüden und vornehmlich in Esch zur Entfaltung kam. Die Vorgeschichte beginnt aber eher in den industriellen Vororten von Luxemburg-Stadt.

 

Im Jahr 1848 hören wir zum ersten Mal von einer öffentlichen Äußerung der Arbeiter. Es war ein europäisches Revolutionsjahr, das auch in Luxemburg einen starken Niederschlag fand.  Die Arbeiter der Handschuhmanufaktur und der Textilbranche hatten gegen die Arbeitslosigkeit demonstriert. Der Diekircher Anwalt André hatte sich als Sprecher der Arbeiterklasse profiliert. Einen Input war seitens der Luxemburger gekommen, die aus Paris heimkehrten, denn die französische Regierung hatte die Gastarbeiter nach Hause geschickt.

 

Die ersten Organisationen entstanden in den 1860er Jahren. Sie waren oft Ableger von deutschen Berufsvereinigungen oder wurden doch von diesen inspiriert. Korporative Vereinigungen, die ihren Mitgliedern in Notsituationen Hilfe zukommen ließen, sich aber auch mit Lohnforderungen und Arbeitsbedingungen auseinandersetzten, doch noch keine richtigen Gewerkschaften waren, entstanden 1860 bei den Brauereiarbeitern, 1864 in den Branchen Leder, Bau, Handschuhe und Druckerei, 1865 bei den Tabak- und ZigarrenarbeiterInnen. Es gibt keine Anzeichen dafür, dass diese Verbände mit den internationalen Organisationen der Arbeiterbewegung in Kontakt standen etwa mit der I. Arbeiterinternationale, die 1860 gegründet worden war. 1871 gab es einen Buchdruckerstreik. Diese ersten Manifestationen einer eigenständigen Organisation der Arbeiterklasse betrafen Esch kaum. Es gab hier keine größeren Manufakturen. Von einer frühen Organisation der Bergarbeiter oder der Fuhrleute ist nichts bekannt.

 

1878 wurde der „Arbeiterverein“ gegründet. Dieser gab eine Wochenschrift „der Arbeiter“ heraus, für den der Luxemburger Wirt und Schreinermeister Nikolaus Steffen, alias N.S.Pierret verantwortlich zeichnete. Janine Frisch-Wehenkel gab folgende Einschätzung: « Composé en majeure partie de petits patrons de l’artisanat et financé indirectement par l’industriel Godchaux, cette équipe n’est ni prête ni mûre à épouser l’idéologie et la pratique socialiste. Son action se limitera à la lutte pour le suffrage universel, pour la dignité de l’ouvrier et l’amélioration de sa situation morale et matérielle. » Der Arbeiterverein war der erste, der sich bemühte, verschiedene Industriesparten zusammen zu fassen und über die Stadt Luxemburg und seine Vorstädte hinaus zu wirken. Im November 1878 sollen sich in Esch mehrere hundert Arbeiter auf Betreiben der Vorstandsmitglieder Perny. Steffen, Stein und Rapalle versammelt haben.

 

1889 war die zweite Internationale gegründet worden, die den 1.Mai als Kampftag für den 8-Stundentag ausgerufen hatte. Im Frühjahr 1889 fanden in manchen Ortschaften über Land Versammlungen des Arbeitervereins statt, um den 1.Mai vor zu bereiten. Das zentrale Thema war allerdings nicht der 8Stundentag sondern das allgemeine Wahlrecht. Trausch zitiert einen Gendarmeriebericht vom 6. April 1889 aus Esch: „…der hiesige Arbeiter-Verein, wie in mehreren Wirtshäusern verbreitet. Sich am 1. Mai, die rothe Fahne an der Spitze, nach Luxemburg begibt, um zwecks Einführung des allgemeinen Stimmrechts bei Seiner Exzellenz den Herrn Staats-Minister vorstellig zu werden.“ (falsches Deutsch im Text)

 

Die ersten Ansätze zur gewerkschaftlichen Organisation schienen jedoch teilweise nach 1890 zu versiegen. Die arbeitende Klasse entwickelte sich massiv erst in den Jahren 1890 – 1910 im Süden. In diesem kurzen Zeitraum verdoppelte sich die Bevölkerung des Escher Kantons.

 

Es hätte wohl eines starken Impulses aus dem Ausland bedurft oder einer festen Entschlossenheit der Luxemburger Sozialdemokraten, starke Gewerkschaften aufzubauen. Der Impuls aus dem Ausland kam in der Form von luxemburgischen Ablegern des Deutschen Metallarbeiterverbandes. Es darf nicht vergessen werden, dass die neue luxemburgische Stahlindustrie, mit wenigen Ausnahmen (Rodange, Metzeschmelz) in deutschen Händen war. So konnten die luxemburgischen Arbeiter in derselben Gewerkschaftsföderation gegen ihre Fabrikbesitzer auftreten. Es war aber nicht das geeignete organisatorische Mittel, die luxemburgischen Arbeiter zu vereinigen und die Forderungen auch gegenüber dem luxemburgischen Staat zu bündeln, der für die Sozial- und Arbeitsgesetzgebung zuständig war. 

 

Es war nicht der vordringliche Kurs der luxemburgischen Sozialdemokraten um Dr. Michel Welter, die Arbeiterklasse zu organisieren. Wegen des Zensuswahlrechts (die Arbeiter hatten kein Wahlrecht) war er darauf ausgerichtet, Bündnisse mit den Liberalen abzuschließen, um Wahlerfolge zu erlangen. Versuche im Jahre 1903, um Gewerkschaften der Metallarbeiter, der Schuhmacher, der Holzarbeiter und der Schneider aufzubauen, hatten wenig Erfolg. Laut Janine Frisch-Wehenkel hatten sich nur 163 Mitglieder eingeschrieben. Dies war der Grund, warum die luxemburgische Sozialdemokratie sich 1904 schon bald nach der Gründung aufspaltete. Die Versammlungen, die J.Thilmany, der spätere Escher Stadtschöffe im Süden mit deutschen Rednern unter dem Namen „Metallarbeitergewerkschaft“ organisierte, hatten jedoch Erfolg, vor allem in Differdingen. So kam es noch 1904 zum Anschluss an den „Deutschen Metallarbeiterverband“. Die Hauptargumentation für die Fusion war die Möglichkeit im Streikfall von den deutschen Kollegen finanzielle Unterstützung zu bekommen. Zu den Organisatoren gehörten damals neben Thilmany, Merens, Droessaert der Escher Johann Wolter.

 

Der luxemburgische Teil des deutschen Metallarbeiterverbandes organisierte auch Solidaritätsversammlungen wie z.B. mit der russischen Revolution von 1905. Am 5.2.1905 entstand das „Gewerkschaftskartell“ ein Zusammenschluss also der Metallarbeiter und kleineren Berufsorganisationen aus der Hauptstadt.

 

In Esch bestand schon die Maison du Peuple, wenn auch an anderer Stelle als heute. Die Organisation der Arbeiterbewegung bestand also vor dem ersten Weltkrieg, doch kam sie nicht recht voran. Um das Jahr 1906 dürften der Metallarbeiterverband kaum mehr als 1000 Mitglieder gezählt haben. Im darauffolgenden Jahr kam es in Luxemburg zu einer großen Streikwelle, welche verschiedene wirtschaftliche Bereiche erfasste.

 

Wie auch in Lothringen blieb aber die Arbeiterbewegung Luxemburgs vor dem 1.Weltkrieg unterentwickelt. Im Krieg, vor allem aber gleich nach dem Krieg, kam der große Aufschwung.

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