4.36 - Die Escher Bevölkerung 1906

 

Im Jahr der 2.Verleihung der Stadtrechte an Esch zählte die Stadt etwas mehr als 16.000 Einwohner, davon 12.781 Luxemburger. 1900 waren es erst 11.000 gewesen, 1907 sollten es bereits 19.500 sein, wovon rund 15.000 Luxemburger und 4.500 Ausländer vor allem Italiener und Deutsche. Zwischen 1871, dem Jahr als die erste Hütte in Betrieb ging und 1910 war die Escher Bevölkerung um 317% gewachsen. Zum Vergleich: In dieser Zeit war die Bevölkerung der Stadt Luxemburg nur um 64 % gewachsen, die von Düdelingen und Differdingen aber um mehr als 500%. Die bebaute Fläche der Stadt Esch vergrößerte sich zwischen 1900 und 1906 von 30 auf 105 ha. 

 

Trotzdem war das Wohngebiet für die Bevölkerung von 1906 sehr eng, die Wohnbedingungen oft dramatisch schlecht. Man muss sich den Escher Stadtplan von 1906 folgendermaßen vorstellen:

 

Der alte Kern der Ortschaft hatte sich verdichtet und ausgedehnt. Doch waren die nördlichen Ringstraßen rue des Remparts und rue du Fossé zwischen dem Breitenweg und der Luxemburger Straße noch gar nicht angelegt. Der Breitenweg war bereits bebaut. Die Besiedlung der langen Luxemburger Straße war bruchstückartig erfolgt. Rue de la Fontaine, Quartier, Schifflinger Weg waren besiedelt und vor allem war das Neudörfchen entstanden, aber noch ohne Nebenstraßen. Das Viertel zwischen rue Boltgen und dem Bahnhof hatte sich stark verdichtet, die heutige Liberationsstraße war als Neustraße im Entstehen. Zwischen dieser und der Brillstraße (Teil der heute Fußgängerzone) war freies Feld. Die Burenstraße gab es bereits (als italienische Straße) sowie die Grenz und die Kolonien der Hoehl. Die Redingerstraße (Kanalstraße) war teilweise bebaut, ansatzweise auch die Nebenstraßen Feldstraße und rue des Argentins. Also 16.000 Einwohner zwängten sich auf ein Siedlungsgebiet, das weder den Großteil des Brillviertels, kaum die Uecht, kaum Dellhéicht, gar nicht Wobrécken, noch Bruch, Lankelz, Belval, Raemerech begriff; von Lallingen bestanden ein paar alte Häuser.

 

Wasser, Gas und Elektrizität waren im Landesvergleich schon sehr früh (um 1885) eingeführt worden, doch konnten nicht alle Haushalte davon profitieren. Um 1900 waren z.B. nur 320 Haushalte an das Gasnetz angeschlossen. Die neu eingewanderten italienischen Arbeiter und viele luxemburgische Arbeiter hausten in vermieteten Zimmern, wo ein Bett von mehreren Mietern benutzt wurde. Die Arbeitszeiten betrugen in der Regel zwölf Stunden pro Tag, 6 Tage in der Woche. Kein Wunder, dass der Alkoholismus grassierte. In Esch kam im Jahr 1897 ein Wirtshaus auf 56 Einwohner. In anderen Städten der Minettegegend gab es noch mehr Cafés im Verhältnis zur Bevölkerung. 64 % aller Wirtshäuser des Landes waren im Kanton Esch.

 

Die Arbeiterbevölkerung hatte keine politische Vertretung, denn wählen durften nur die Männer, die einen gewissen Betrag an Steuern zahlte. Die Deputiertenkammer war somit fast ausschließlich aus Notablen zusammengesetzt. Auch der Escher Gemeinderat von 1906 spiegelte keineswegs die Zusammensetzung der Bevölkerung wieder. Bürgermeister war Dominik Josef Hoferlin, ein Gefolgsmann des Schmelzherren Léon Metz. Hoferlin verstarb 1906, drei Monate nach der Verleihung der Stadtrechte. Er wurde durch Léon Metz selber ersetzt. Es gab bereits Mitglieder des Gemeinderates, die sich auf die Arbeiterklasse beriefen, wie Jean Schaack, J.P. Kersch und Dr. Jules Joerg. Erst 1909 wurden Vertreter der Linken in den Schöffenrat einbezogen. 

 

Wir besitzen keine genauen Angaben über die genaue Zusammensetzung der Escher Industriearbeiter. Von 1902 gibt es einen Bericht, den Ben Fayot zitiert: Von 13.165 Arbeitern des Kantons Esch in der Eisenindustrie waren 6996 Luxemburger, 514 Franzosen, 770 Belgier, 2.262 Deutsche, 3.382 Italiener, 141 von anderen Nationalitäten.

 

Das Entstehen einer Arbeiterbewegung in Luxemburg, mit Zentrum In Esch wird in den nächsten Beiträgen ausführlich zu behandeln sein.

© Copyright Frank Jost, Weitergabe gestattet nur mit Quellenangabe 

 

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