3.23 - Die 1848er Bewegung

 

Das Jahr 1848 brachte Europa revolutionäre Umwälzungen in vielen Ländern. In Frankreich wurde die Juli-Monarchie gestürzt und durch die 2. Republik ersetzt. In Deutschland tagte das liberale Parlament in der Frankfurter Paulskirche. Es gab mächtige Volksbewegungen in den vielen deutschen Staaten. Im März gab es eine revolutionäre Bewegung in Wien. Überall wurden die Monarchien oder doch wenigstens der Absolutismus in Frage gestellt. Auch in den norditalienischen Städten brodelt es. Die Habsburger wurden verjagt. In vielen Ländern wurden demokratische Verfassungen angenommen. Zum ersten Mal griff auch die Arbeiterklasse aktiv in das Geschehen ein. 1848 veröffentlichten auch Karl Marx und Friedlich Engels ihr Manifest der Kommunistischen Partei.

 

Auch in Luxemburg kommt es zu einer demokratischen Bewegung und einer verfassungsgebenden Versammlung, die schließlich ein Grundgesetz ausarbeiten wird, das nie da gewesene demokratische Rechte festhält. Der Lokalhistoriker Joseph Flies behandelt diese Umwälzungen gar nicht. Es stimmt, dass kein Escher in dieser Zeit maßgebend in das nationale Geschehen eingegriffen hat. Charles Motté, der Bürgermeister von vor der belgischen Zeit, war allerdings Mitglied der verfassungsgebenden Versammlung.

 

Das Jahr 1848 steht auch in der Luxemburger Geschichte für Umschwung und Rhythmusänderung. Die demokratischen Errungenschaften von 1848 wurden schon 8 Jahre danach durch eine Art Staatsstreich des reaktionären König-Grossherzog Wilhelm III. zunichte gemacht. Die intensiven Debatten dieser Zeit führten auch zu einer Fragestellung über die Identität der Luxemburger. 1848 gab wohl den entscheidenden Kick für die Herausbildung eines Luxemburger Nationalbewusstseins. Die Belegschaften der traditionellen Manufakturen aus der Textil- und Handschuhbranche traten auf den Plan und manifestierten gegen die Arbeitslosigkeit. In Esch war die Arbeiterbewegung noch nicht geboren. Die Betriebe waren auch sehr klein (Gerberei, Kalkgewinnung) und der Abbau der Minette hatte noch nicht begonnen.

 

Eine erste Verfassung war 1842 von den Ständen ausgearbeitet worden, deren 34 Mitglieder von Wilhelm II. ernannt worden waren. Aus dem Escher Kanton waren die 3 Orangisten Baron Victor de Tornaco, Notar Antoine Schanus und das Escher Gemeinderatsmitglied, sowie Friedensrichter und frühere Bürgermeister Henri Motté berufen. De Tornaco und Schanus hatten sich einige Jahre durch die Bildung einer pro-orangistischen Miliz ausgezeichnet, die mit Waffengewalt gegen die belgische Revolution vorgegangen war. So hatte es einen massiven Überfall auf das Berwartschloss gegeben bei dem über 100 Gewehre und Tornacos konfiszierte Schafsherde entwendet worden waren; Motté war ein gemäßigter Orangist. Die Verfassung von 1842 versprach zwar formal die wichtigsten bürgerlichen Freiheiten, doch die  Zensur bestand weiterhin und die Macht lag größtenteils in den Händen des Gouverneurs und nicht in den Händen der Minister. Die Stände waren wenig repräsentativ und tagten nur spärlich. 1842 war Luxemburg auch der deutschen Zollunion beigetreten. Dieser Beitritt sollte den besseren Zugang zu den deutschen Märkten erlauben.

 

Es schwelte auch ein Konflikt zwischen den Luxemburger Liberalen und dem Generalvikar Laurent, der starken Einfluss in der Verwaltung und im Erziehungswesen beanspruchte. Die Liberalen forderten auch Kredite für die Industrie.

 

Die vierziger Jahre des 19. Jahrhunderts hatten das Land an den Rand der Hungersnot gebracht. Die Auswanderung nach Amerika entvölkerte ganze Landstriche. Nun gesellte sich eine konjunkturelle Wirtschaftskrise hinzu. Die Steuern, die Bezahlung des Monarchen und der hohen Funktionäre und die Kosten des militärischen Kontingents wurden in Frage gestellt. Wir haben bereits darauf hingewiesen, dass die Escher Situation etwas verschieden war. Die wirtschaftliche Situation war besser als im Landesdurchschnitt und die Auswanderung beschränkte sich auf den „Tour de France“, ein Mittel, Geld zu verdienen und vor allem, berufliche Kenntnisse zu erwerben.

 

Bald sollten die revolutionären Bewegungen der umliegenden Länder auch in Luxemburg ihren Einfluss zeigen. Victor Molitor, der 1939 ein Werk über diese Zeit herausgab „L’histoire de l’idéologie politique au Luxembourg de 1841 à 1867“ behauptet tendenziös: „Parmi les Luxembourgeois de Paris, qui revenaient dans leurs foyers, se trouvaient des fermentateurs de troubles dangereux." Manche Luxemburger, die auf ihrem « Tour de France » waren, waren von der französischen Regierung ausgewiesen worden und fanden nun keine Arbeit in der Heimat. Am 14. März gab es Unruhen in Ettelbrück. Die Menschen forderten Reformen und hissten die französische Fahne. Am Tag darauf erschien ein königliches Dekret, das die Zensur abschaffte. Die Unruhen in Luxemburg-Stadt waren nicht klar in ihrer Ausrichtung und wandten sich einen Moment lang gegen die Liberalen, die im Rathaus tagten. Die Echternacher waren deutlicher und verlangten eine Reform des Wahlrechts, die Regelung der religiösen Fragen, die Herabsetzung der Gehälter der hohen Funktionäre, der Militärausgaben und der Zivilliste des Monarchen, sowie die Abschaffung der luxemburgischen Kanzlei im Haag. Manch andere Ortschaft richtete Forderungsschreiben an die Regierung oder den Monarchen. Aus Esch sind keine Reaktionen bekannt. Es gab auch zu der Zeit keine Druckerei und keine Zeitung in Esch. In Luxemburg erschienen zum ersten Mal das Luxemburger Wort, das für das allgemeine Wahlrecht eintrat und der liberale „Courrier“ der die aufstrebenden Industriellen vertrat und demokratische Reformen forderte; in Echternach erschien der Grenzbote, der mit den demokratischen Reformen in Deutschland sympathisierte. Die ersten Reaktionen der Arbeiterschaft, die vom Wahlrecht völlig ausgeschlossen war, waren wenig strukturiert. Sie hatten noch keine eigenständigen politischen oder gewerkschaftlichen Organisationen, höchstens einen Sprecher, der Abgeordnete Charles André aus Diekirch, der dort auch ein Wochenblatt herausgab.

 

Eine verfassungsgebende Versammlung trat schließlich in einem Schulsaal in Ettelbrück zusammen angeblich, um sie vor Agitatoren zu schützen. Es scheint aber eher so, dass der deutsche Festungskommandant in Sorge war, die Garnison könnte meutern. Sehr konfus war die Haltung zu Deutschland von dem urplötzlich und ungewohnt eine freiheitliche Ausstrahlung ausging. Am Rathaus in Luxemburg wehte neben der luxemburgischen, die deutsche Fahne. Manch ein francophiler Politiker hatte plötzlich seine deutsche Ader entdeckt. Ein Grund dafür war, dass der Export sich immer mehr nach Deutschland orientierte. Die verfassungsgebende Versammlung hatte auch über den Modus der Entsendung von 2 Abgeordneten ins deutsche Parlament zu entscheiden. Es wurde eine Kommission zusammengesetzt, die den Text der neuen Verfassung ausarbeiten sollte. Zu dieser gehörte auch wieder der Escher Ch. Motté zusammen mit einem Gemisch aus Orangisten und Liberalen. Die Verfassung ist viel liberaler als die alte, doch werden die unteren Schichten nicht zu den Wahlen zugelassen; das hatten die Liberalen verhindert.

 

Bei den Kammerwahlen vom 28. September 1848 wurde kein einziger Escher gewählt. Die Abgeordneten des Escher Kantons waren die Rentiers Tornaco aus Sanem, Collart aus Bettemburg, der Notar Gras aus Bettemburg, der Gemeindesekretär Hemmer aus Reckingen und der Professor Muller, ein Geistlicher aus dem Progymnasium aus Diekirch. Überhaupt gab es 8 Abgeordnete aus Diekirch, die quer durch die Kantone kandidiert hatten. Die Abgeordneten waren also weder repräsentativ für die sozialen Klassen, noch geografisch korrekt verteilt. Der Einfluss der Escher auf die Politik des jungen Staates war praktisch null.  

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